SHŌJU Hironobu: Die Haupthalle des EKŌ-Tempels
aus: EKŌ-Blätter Heft 32 (Herbst 2022), S. 6-7 pdf-Datei
Die Haupthalle des EKŌ-Tempels ist in drei Bereiche unterteilt: den Inneren Bereich (naijin 内陣), die Seitenbereiche (yoma 余間) rechts und links und den Äußeren Bereich (gejin 外陣). Im Inneren Bereich und den beiden Seitenbereichen führen die Priester bei Zeremonien ihren Rezitationsgesang und verschiedene Riten durch. Im Äußeren Bereich sitzen die Besucher der Zeremonie, die dort mitrezitieren und der Ansprache lauschen. Hier soll der Innere Bereich des EKŌ-Tempels vorgestellt werden, der den traditionellen Formen des Hongwanji-Zweiges der Jōdoshin-shū folgt.
Im Zentrum des Inneren Bereichs steht der sogenannte „Weltenberg-Altar“ (shumidan 須弥壇) mit einem Standbild des Buddha Amida, er wird von Nebenaltären (wakidan 脇壇) flankiert. Die Amida-Statue steht dem Betrachter frontal gegenüber, auf dem rechten Nebenaltar befindet sich ein Rollbild Shinran Shōnins (1173-1263), der die Jōdoshin-shū begründete, gegenüber auf dem linken Nebenaltar ein Rollbild Rennyo Shōnins (1415-1499), des achten Oberhaupts der Jōdoshin-shū.
Auf den beiden Außenseiten, noch weiter rechts bzw. links der Nebenaltäre, liegen die sogenannten Seitenbereiche. Im Seitenbereich rechts vom Shinran-Altar hängt ein Rollbild des Kronprinzen Shōtoku (574-622), während im Seitenbereich links vom Rennyo-Altar ein Rollbild mit den Sieben Patriarchen zu finden ist. Es handelt sich um sieben eminente Mönche aus Indien, China und Japan, die die Lehre des Amida-Buddhismus bis zu Shinran Shōnin überliefert haben (nämlich Nāgārjuna, Vasubandhu, Tanluan, Daochuo, Shandao, Genshin, Hōnen). Gegenstand der eigentlichen Verehrung ist die Statue des Buddha Amida (obwohl sie als solche nicht Gegenstand des Glaubens ist). Außerdem sollen die bunten Gegenstände, die den Inneren Bereich schmücken, an die Landschaftsmerkmale des Reinen Landes erinnern, das Amida als sein Buddhaland gründete:
Das Land Sukhāvatī wird von sieben Reihen von Balustraden, sieben Reihen von Schmucknetzen und sieben Reihen von Alleebäumen, die alle aus vier Kostbarkeiten bestehen, weiträumig umgeben. (…) Es gibt im Land Sukhāvatī Teiche aus den sieben Kostbarkeiten (…) In den vier Richtungen steigen Treppen empor, die aus Gold, Silber, Lapislazuli und Kristall bestehen. Oberhalb befinden sich Pagoden, die wiederum mit Gold, Silber, Lapislazuli, Kristall, Perlmutt sowie Perlen und Achat geschmückt sind.“ (Amida-Sūtra)
Im Amida-Sūtra und anderen Lehrreden schildert Buddha Śākyamuni die Details dieses Reinen Landes in sehr märchenhafter Art und Weise. Aber Shinran Shōnin erklärt den Bereich des Erwachens, den man auch die Dharma-Natur des Buddha Amida nennt, wie folgt:
„Die Dharma-Natur ist der Dharma-Leib [des Buddha]. Der Dharma-Leib hat weder Farbe noch Form. Darum kann der Geist ihn nicht fassen und Worte ihn nicht beschreiben.“ (Shinran: Bemerkungen zur „Essenz des bloßen Vertrauens“)
Der Bereich des Erwachens ist also eine Welt, die alle Worte überschreitet und weder Farbe noch Form besitzt. Ebenso ist das Reine Land, das der Buddha Amida begründete, eigentlich nicht mit Worten zu beschreiben, man kann sich kein Bild davon machen. Hätte der Buddha aber gelehrt, dass der Mensch nicht gerettet werden kann, wenn er die Dharma-Natur nicht begreift, so wäre seine Lehre für gewöhnliche Menschen nutzlos gewesen. Denn wir können nichts erkennen, ohne uns auf die Sinneswahrnehmungen (Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Tasten) und das Denken zu stützen. Der Buddha Amida und das Reine Land erscheinen uns wie eine Märchengeschichte, aber gerade deshalb war Shinran Shōnin von der tiefen Bedeutung, die die Sūtras mit diesen Worten ausdrücken wollen, fasziniert.
„Aus dem Ozean der Einheit (Dharma-Natur) erschien Form, sie nahm den Namen des Bodhisattva Dharmākara an, der, indem er das Ungehinderte Gelübde als Ursache hervorbrachte, zum Buddha Amida wurde.“ (Shinran: Bemerkungen über den einmaligen und mehrfachen Namensruf)
Was ist also der Buddha Amida? Es ist der Buddha, der alle fühlenden Wesen retten will, die an den ichhaften geistigen Befleckungen leiden und unaufhörlich in dieser Welt herumirren, und der deshalb aus dem Bereich, wo es weder Farbe noch Form gibt – der Dharma-Natur – hervortritt und die Merkmale eines Übenden, nämlich des Bodhisattva Dharmākara, annimmt. Mit anderen Worten, gerade jene Wesen, die wegen ihrer geistigen Befleckungen die Dharma-Natur nicht sehen können, die den Weg zum Erwachen aus eigener Kraft nicht beschreiten können, sind Amidas Zielgruppe.
An anderer Stelle greift Shinran auf ein Wort des chinesischen Meisters Shandao zurück. In diesem vergleicht Shandao einen gewöhnlichen Menschen, der ohne formhafte Vorstellungen auskommen möchte, mit einem Mann, der ein Haus in der Luft bauen will. Gerade deshalb hat der Buddha aus großem Mitgefühl für solche Menschen, die nur durch Farben und Formen erkennen können, konkrete Buddhamerkmale und die Merkmale eines Orts der Hingeburt, des Reinen Landes, aufgezeigt. Der Buddha Amida hat also Vorsorge dafür getroffen, dass gewöhnliche Menschen ihre Gedanken überhaupt auf das Reine Land richten können. Darum kann man sagen, dass der prächtige Schmuck im Inneren Bereich der Haupthalle in konkreter Form das Mitgefühl des formlosen Buddha Amida zeigt, von dem in den Sūtras die Rede ist.
Es ist für einen gewöhnlichen Menschen unmöglich, das ganze große Mitgefühl des Buddha Amida, der die Weisheit des Erwachens vollendet hat, zu erfahren und alles darüber zu erzählen. Aber in den Sūtras, die Buddha Śākyamuni lehrte, und auch im Inneren Bereich der Haupthalle kann man Buddha Amidas Mitgefühl sicherlich ein wenig erahnen. Bitte betrachten Sie den Inneren Bereich in aller Ruhe und versuchen Sie dem Herz des Buddhas nachzuspüren!